WORKING CLASS
WORKING CLASS
/ Okt102018Für den Wickelschal-Werber mit eigener Agentur und Dick Brave auf dem Backseat, ist der 64er Ford Mustang der Inbegriff eines Amischlittens. Mitt-Sechziger Greaser betrachten den 59er Cadillac Eldorado als ultimatives US-Potenzmittel im Straßenverkehr und ein gechoppter 32er Ford Deuce Coupe als vergammelter Shotrod ist die heilige Madonna Detroits für alle sich noch in der Pubertät und Probezeit befindlichen Oldstyle Kids. Leider entpuppte sich der Mustang spätestens ab Modelljahr ´74 als vierzylindrige Damenhandtasche für Schrittgeschwindigkeitsfahrten in die nächste Shopping Mall. Der 1959er Cadillac als dramatischster Stellvertreter aller Heckflossen-Saurier taugt genauso wenig als Synonym für das US Car überhaupt, denn bereits Anfang der Sechziger legten die amerikanischen Autobauer die Heckflosse wieder flach, die sich erst kurz zuvor Mitte der Fünfziger steil aufrichtete. Der 1932er Ford Deuce wurde leider nur ein Jahr gebaut.
Im Vergleich zum amerikanischen Pickup sind die obigen Kandidaten allesamt kurzlebige Modeerscheinungen der Automobilgeschichte. Seit knapp 100 Jahren werden die zähen Arbeitstiere mit Ladefläche in der neuen Welt produziert. Schon das erste am Fließband zusammengesetzte Automobil der Welt, das Model T von Ford, konnte auch als Pickup geordert werden. Tiefgreifende Mutationen der Pickup-Genetik hat es im Prinzip innerhalb der letzten zehn Dekaden nicht gegeben. Starrrahmen, Starrachse, Fahrerhaus, Sitzbank, ein hubraumstarker Motor – fertig ist die Laube auf vier Rädern. Doch seit jeher ist der kleine Truck mehr als nur ein Arbeitsgerät. Auch im Nutzfahrzeugbereich spielte Design von vornherein eine entscheidende Rolle. So legte Ford 1948 als erste Nachkriegskonstruktion mit dem so genannten Million Dollar Cab beim F-1 ein Brett in puncto Optik und Style vor, Chevrolet schickte 1955 mit der Task Force bezahlbares Traumwagendesign für die Baustelle ins Rennen – auf Wunsch erhältlich mit dem neukonstruierten Small Block V8 und Power Glide-Automatik.
Die Dodge Boys standen etwas später auf und konterten erst 1957 mit ihrem Forward Look im Space Design. Optionale Heckflossen mit Raketenrückleuchten waren zwar beim Beladen im Weg, sahen aber umwerfend aus. Der Pickup wurde somit zum Identifikationsmerkmal der Arbeiterklasse und ganze Berufsgruppen definierten sich über ihn. Schweinezuchtbetriebe in Minnesota mit Ford F-150 vorm Stall, Getreide-Farmer in Wisconsin, die im Dodge 1/2-Ton ihre Felder abfahren, Holzfäller in Montana, die im Chevrolet Apache durchs Unterholz pflügen. Bis in die Fünfzigerjahre war der Markt der Light Trucks in Amerika schwer überschaubar und die Modellpolitik der Hersteller kaum zu begreifen. Den 48er Ford der F-Serie konnte man zum Beispiel in schlappen 139 verschiedenen Ausführungen ordern und wen die Produktpalette der Big Three von Ford, Chevrolet und Dodge langweilte, der wurde vielleicht bei GMC, Studebaker, International oder Jeep fündig. Erst danach setzte allmählich eine Selektion ein und kleinere Marken wie Studebaker verschwanden ganz vom Markt, International widmete sich lieber Treckern und Schulbussen und Jeep spielte stückzahlenmäßig auf dem Pickup-Sektor eh nie eine tragende Rolle.